Interview in „STACCATO” 3/1998 (Auszüge)
Interview in „STACCATO” 3/1998 (extract)
Staccato: Wie ich weiß, haben Sie gerade Ihre neueste Plattenproduktion – zusammen mit dem Sänger Christoph Prégardien - beendet. Mich interessiert einfach mal, wie Sie auf die Repertoire-zusammenstellung – Lieder von Brahms, Spohr und Schubert - gekommen sind. Was war die Idee?
Tilman Hoppstock: Christoph Prégardien gilt ja heute als einer der stilprägenden Schubertinterpreten, und da eben die Gitarre in der frühromantisehen Zeit eine herausragende Rolle gespielt hat, besonders auch im Zusammenhang mit deutschem Liedgut, lag es einfach nahe, so etwas zu machen.
Staccato: Haben Sie bei den Bearbeitungen, die Sie selber erstellt haben, versucht, den Klaviersatz zu realisieren soweit dies möglich war, oder wollten Sie den Satz im Sinne "gitarristischer" Nachempfindung eher einfach halten? Bei Brahms z.B. stelle ich mir das nicht ganz so einfach vor.
T. H.: Sowohl als auch! Bezogen auf die Tradition des frühen 19. Jahrhunderts muß man einfach sehen, daß die Lieder oftmals so einfach wie möglich bearbeitet wurden. Die Lieder von Louis Spohr z.B. sind keine originalen Gitarrensätze sondern wurden von Zeitgenossen für die Gitarre bearbeitet. Die eigentliche Idee des Gitarrenparts war wohl eher etwas Spontanes, das Instrument ist schnellgriffbereit und solche Lieder wurden oft auch improvisiert. Man findet daher nicht immer sorgfältigst ausgearbeitete Liedsätze mit exakt eingehaltenen, genau strukturierten Stimmverläufen. Bei Brahms´ Volksliedvertonungen stellt sich das anders da: Eine Adaption auf Gitarre ist nicht ganz unproblematisch, da diese Melodien erst anhand des überaus komplexen Klaviersatzes zur Geltung kommen. Bezeichnenderweise gibt es hiervon auch keine zeitgenössischen Transkriptionen. Frühe Einrichtungen der Schubertlieder wiederum sind von recht durchwachsener Qualität.
Hier treten öfter gewisse Unregelmäßigkeiten auf, ich denke hier an Brüche im Satz, eigentümliche Oktavierungen und z.B. das Fehlen wichtiger Harmonietöne, gerade auch im Dissonanzbereich.
Staccato: Was stand denn jetzt bei den Brahmsund Schubertlieder bearbeitungstechnisch im Vordergrund?
T. H.: Bei den Brahms-Liedern habe ich Stücke ausgewählt, bei denen ich nur in naheliegende Tonarten transponieren mußte und auch so weit wie möglich den Ambitus erhalten konnte, gerade weil die Musik von Brahms über weite Strecken doch sehr an Klangflächen gebunden ist. Zunächst habe ich übrigens eine bereits existierende und im Prinzip gute Bearbeitung als Inspirationsquelle verwendet, mußte jedoch während der Beschäftigung mit dem Brahmsklaviersatz feststellen, daß mir oft andere Lösungsmöglichkeiten in den Sinn kamen.
Staccato: Könnten Sie das einmal etwas konkretisieren.
T. H.: Sehr schwer ohne auszuschweifen. Manchmal bietet es sich an, identische Stimmverläufe der Gesangsmelodie in der Begleitstimme zu reduzieren, jedoch alle anderen für die Satzstruktur und Harmonie wichtigen Noten zu übernehmen. Absolute Priorität gilt für alle charakteristischen Grundmotive und Begleitthemen des Klavierparts, die grundsätzlich keinerlei Vereinfachung vertragen. Das Satzgefüge bei Brahms ist überwiegend polyphoner als bei Schubert. Dafür spielen bei diesem die harmonischen Wendungen als wichtige Textexegese eine weitaus größere Rolle.
Ich will das noch mal anhand des Liedes "Der Tod und das Mädchen" etwas näher erläutern: Auch in diesem speziellen Fall muß man sich für eine Bearbeitung an gewisse Prioritäten halten. Original steht das Lied in d-moll. Eine mir bekannte Transkription weist die Tonart e-moll auf Meiner Meinung nach ist die Tonart hier sehr stark an Text und kompositorischen Inhalt gebunden. Nun gut, in dem schnellen Teil des Liedes legt der Bearbeiter die Gitarrenstimme in die Unteroktave. Das klingt zunächst auch gar nicht so schlecht. Während des Flehens des Mädchens "und rühre mich nicht an..." führt Schubert den Klaviersatz systematisch in den Keller und das Tempo verlangsamt sich. In der besagten Bearbeitung muß an irgendeiner Stelle gezwungenermaßen der Oktavbereich gewechselt werden. Das bedeutet in dem Fall für die Dramaturgie eine bearbeitungstechnische Grausamkeit! Tatsächlich gibt es hierfür doch eine weitaus bessere Lösung: einfach das Original zu übernehmen!
Staccato: Sind Ihnen denn aus der Zeit Schuberts Gitarristen, die sich als Bearbeiter hervorgetan haben, bekannt?
T, H.: Nun, Diabelli, Weber und auch Spohr selber haben Bearbeitungen angefertigt, da sie auch Gitarre spielten. Andere Künstler wie Arnold oder auch Pfeiffer sind bis heute eher unbekannt geblieben.
Staccato: In welcher Weise hat Sie die Zusammenarbeit mit Chr. Prégeardien künstlerisch beeinflußt, was hat sie Ihnen gegeben?
T. H.: Die Zusammenarbeit mit Sängern hat mich schon immer fasziniert, Über die Gesangs-kammermusik entwickeln wir als Instrumentalisten durch die Synthese von Text, Melodie und Harmoniestruktur die nötige Sensibilität, um die Spannungsverhältnisse in der Musik auch mittels Phrasierung und Atemgestaltung zu spüren und zu verstehen. Wer die Schuberteinspielungen von Christoph Prégardien mit Andreas Staier am Hammerflügel kennt, weiß, wie gehaltvoll so eine gemeinsame Tätigkeit sein kann. Für mich war und ist das eine sehr wertvolle Erfahrung.
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Staccato: Nun haben Sie ja auch mit einem Barockcellisten intensiv zusammengearbeitet und vor vier Jahren entstand eine CD mit Bearbeitungen von Bach, de Visée und Vivaldi, einmal in kammermusikalischer Besetzung, aber auch für das jeweilige Instrument ein Solostück, wobei das Cellostück eben auch eine von Ihnen erstellte Bearbeitung einer französischen Suite darstellt. Was hat Sie zu diesem Projekt veranlaßt, wie kam es denn zur Zusammenarbeit?
T. H.: Rainer Zipperling und ich, wir kennen uns praktisch seit meiner Kindheit. Die Idee zu dieser Produktion hat sich erst ganz allmählich herausgebildet, es war zunächst mehr unser gemeinsames Interesse an der alten Musik, bei mir u.a. vom Bearbeitungstechnischen her, bei ihm durch seine diversen kammermusikalischen Aktivitäten. Da Rainer intensiv in der alten Musik-Szene tätig ist und viel mit Frans Brüggen, Anner Bijlsma, Gustav Leonhard und Nicolaus Harnoncourt zu tun hat, konnte er mir diese "Atmosphäre" des Musikverstehens und Interpretierens ganz direkt weitergeben, ich habe da wirklich viel von ihm lernen können.
Für die Produktion selbst stand der pluralistische Aspekt im Vordergrund, Rainer beschäftigt sich eben auch noch mit der Gambe und dem Piccolocello und so haben wir die entsprechenden Stücke ausgewählt.
Die Bearbeitung der französischen Suite war übrigens schon vorher entstanden. Ich hatte damals die Absicht, einmal den umgekehrten Weg zu gehen, den Bach mit einigen seiner Werke gegangen ist, wo er aus einfacheren Fassungen erweiterte Versionen entwickelt hat. Um Bearbeitungstechniken richtig nachvollziehen zu können ist es meines Erachtens nach ganz wichtig, auch in der Lage zu sein, die Stücke wieder zurückzuentwickeln, sie quasi einzudampfen! Was könnte denn eine reduzierte, vereinfachte Fassung eines komplexeren Satzes in der Sprache Bachs bedeuten, und auch an Gewinn bringen, wenn eben gewisse Dinge nicht ausgesprochen oder nur angedeutet werden. Da ich ja selber auch Cello spiele, hatte ich die Möglichkeit, immer gleich alles ausprobieren zu können. Rainer hat dann als Interpret den Gestus und das Idiom dieser Musik wirklich kongenial umgesetzt! Das hat viel Spaß gemacht, man hat wirklich das Gefühl, die Suite hätte auch für Cello geschrieben sein können.
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Staccato:......Und mit dem Klavier haben Sie nie etwas am Hut gehabt, obwohl doch Ihr Vater zu der Zeit recht intensiv als Pianist tätig war? Wurden Sie da von Hause aus tatsächlich mit entsprechend "pädagogischen Ambitionen" in Ruhe gelassen?
T. H.: Doch, ja. Das einzige war, daß meine Mutter den Cellounterricht für mich bei dem Triopartner meines Vaters, Uwe Zipperling, forciert hat, und so habe ich dann 1968 mit dem Cellospielen begonnen.
Staccato: Welches Instrument hat Sie mehr beschäftigt, oder waren beide gleichberechtigt?
T. H.: Die Gitarre stand natürlich meist an erster Stelle, danach kam lange Zeit gar nichts..
Staccato: Sie waren ja zu Beginn des Studiums gerade mal 16 Jahre alt, haben Sie praktisch zwei Hauptfächer gehabt?
T. H.: Ja, das war damals die Auflage meiner Eltern. Sie erlaubten mir das Gitarrenstudium nur unter der Bedingung, daß ich parallel Cello studiere. Die "Doppelbelastung" hat mir sogar Spaß gemacht, zumal ich in den letzten Jahren des Studiums eine wirklich "heiße" Cellophase durchlebte.
Staccato: Hat sich eigentlich in der Technik zwischen den Instrumenten eine Art Transferprozess eingestellt?
T. H.: Insgesamt weniger als man es wohl als Gitarrist annehmen würde. Es ist nicht unbedingt so, daß man jetzt, nur weil man eben Cello spielt, plötzlieh ein anderes Bewußtsein für Melodiebildung entwickelt.
Staccato: Und Haltungsfragen?
T. H.: Ich merke beim Cellospielen, daß die linke Hand wesentlich entspannter arbeiten kann. Der Grund ist aber nicht nur, daß beim Cello das Griffbrett fast senkrecht steht, sondern auch, daß die Vertikalität, also das akkordische und polyphone Spiel, weitaus weniger, fast gar nicht, im Mittelpunkt steht. Wirklich von Vorteil, und daher für mich dann auch nie ein Problem auf der Gitarre, war die Behandlung des Vibratos.
Staccato: Erhält man nicht dennoch einen etwas "kosmopolitischeren" Uberblick, wenn man zusätzlich ein anderes Instrument beherrscht?
T. H.: Allerdings! Ich spiele ja als Cellist in einem Streichquartett auch noch zusammen mit Kollegen der Akademie. Dadurch öffnen sich schon ganz andere musikalische Welten.
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Staccato: Eliot Fisk war ja damals wohl auch einer der wenigen, die repertioremäßig keinen Einschränkungen unterworfen waren.
T. H.: Ich muß sagen, ich war immer dann am meisten fasziniert, wenn Eliot im Unterricht selber etwas gespielt hat. Er kann direkt und ansatzlos auch aus der Mitte eines Stückes heraus zu spielen beginnen, und zwar weitgehend jedes Stück der Gitarrenliteratur Ich kenne diese Fähigkeit eigentlich nur noch von einem mir gut bekannten Pianisten, Alexis Weissenberg, der ein ähnlich phänomenales Gedächtnis besitzt.
Staccato: Haben Sie mit Weissenberg auch mal was gemeinsam produziert?
T. H.: Keine CD, es gab da mal eine Produktion im Südwestfunk-Fernsehprogramm, die nannte sich "Musik ohne Grenzen". Peter Herbolzheimer mit seiner Bigband und seinen Arrangements war der Verantwortliche für den Jazzpart, und Alexis Weissenberg und ich bestritten den Klassikteil, bei dem wir neben den solistischen Parts unter anderem auch im Duo Cello/Klavier gespielt haben. Die Kontakte zu Herbolzheimer und Weissenberg existieren heute noch, es ist auch immer wieder sehr anregend, wenn wir uns treffen.
Staccato: Haben Sie eigentlich im Studium bereits konzertiert und Aufnahmen gemacht?
T. H.: Begonnen hat das zusammen mit meinem damaligen Gitarrenduopartner, Wulf Großmann, ein hervorragender Lautenist und Gitarrist, der heute in der Schweiz lebt. Wir müssen so 15 oder 16 Jahre alt gewesen sein und haben in der Zeit ab 1978 die ersten kompletten gemeinsamen Konzerte aufgeführt, unter anderem auch bei Seminaren Karl Scheits. Reine Soloabende gab ich dann mit 19 Jahren. Später schlossen sich diverse Europa- und Überseetourneen an. Das waren sehr unterschiedliche Projekte, teilweise solistisch aber auch viel Kammermusik mit Flöte, mit Viola und Orchester.
Staccato: Wann kam die Unterrichtstätigkeit an der Darmstädter Akademie und der Uni Mainz dazu?
T. H.: Ich habe ja schon während des Studiums Studenten betreut, die mich sozusagen als externen Lehrer hatten. 1985 kam dann der Lehrauftrag an der Mainzer Uni, später noch Darmstadt, so daß ich jetzt zwei Klassen betreue. Da ich während meines Studiums auch erfahren mußte, daß eine kontinuierliche Betreuung der Studenten nicht immer gewährleistet sein kann, wenn der Lehrer sich noch in anstrengenden Konzertverpflichtungen befindet, habe ich diese Dinge dann allmählich reduziert. Außerdem war ich ab Mitte der 80ger immer mehr durch meine Aufnahmetätigkeit eingebunden.
Staccato: Wie hat sich diese zunehmend intensivere Aufnahmetätigkeit ergeben, man kann man von Ihnen pro Jahr ein bis zwei neue CDs erwarten.
T. H.: Bei Rundfunkaufnahmen hat man sicherlich die geringsten Möglichkeiten einzugreifen, wenn man nicht so vorbereitet ist, daß man einfach keine Fehler macht, sowohl technisch als auch musikalisch. Bei einer mehrtägigen Kammermusik CD-Produktion ist es ganz ähnlich, man muß einfach geistig und körperlich auf den Punkt genau gut vorbereitet sein. Diese Bedingungen fand ich eigentlich schon immer sehr ungenügend und bei meinen ersten vier Plattenproduktionen waren sie eben auch nicht so optimal. Schon während der Aufnahmen habe ich gemerkt, daß ich viele Dinge musikalisch ganz anders haben möchte, und daß eine zwei- oder dreitägige Produktionszeit nicht meine Arbeitsweise sein kann. Ich brauche einfach wesentlich mehr Zeit.
Staccato: Ist dann die Produktionszeit für Sie so etwas wie eine Entwicklungsphase Ihrer musikahsehen Vorstellung, die sich eben durch das akustisehe Feedback erst zunehmend manifestiert?
T. H.: Ganz und gar nicht! Ich habe bereits eine sehr genaue, komplette Vorstellung von der Musik schon vor der Produktion. Für viele ist eine Aufnahme ja nur die momentane Fixierung eines Augenblicks. Für mich ist es etwas anderes, eher der Versuch einer Annäherung an ein musikalisches Ideal, das ich in einer bestimmten Lebensphase spüre. Und um dies wahrnehmen zu können, brauche ich einfach einen gewissen Zeitablauf. Hinzu kommt, daß einige der Stücke, die ich aufgenommen habe, technisch derartig schwierig sind, daß sie in dieser Perfektion, die ich anstrebe, für mich im Konzert gar nicht machbar sind. Ich denke da an bestimmte Paganini-Capricen oder auch an die Werthmüllersonate, die auf einer so hohen Virtuositätsebene ablaufen und einen so enormen Übeaufwand erfordern, daß es geradezu unökonomisch wäre, sie im Konzert zu spielen. Ich habe da mittlerweile die Einstellung dies nur für eine Aufnahme zu tun.
Staccato: Das heißt, Sie haben solche Stücke nie im Konzert gespielt?
T. H.: Doch, natürlich! Als ich Anfang 20 war, stellten solche Stücke den überwiegenden Teil meiner Programme dar!
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Staccato: Wie geht es Ihnen in diesem Zusammenhang mit wirklich hochvirtuoser, ekstatischer Musik, die ja einen gewissen Teil Ihrer Einspielungen darstellt?
T. H.: Ekstase erlebe ich durchaus auch bei der Interpretation eines Tombeaus von Froberger, sicher auch beim Spielen von „El Colibri“. Dies sind für mich zwei Phänomene, einmal das motorisch-körperliche Moment, bei dem die Musik fast programmatisch ein Bild darstellt, eben flirrende Vogelflügel, und dann durchaus auch ein sportives Element, bei dem sich z.B. das geradezu Diabolische einer Paganini-Caprice überhaupt erst auf der Basis eines bestimmten Tempos und einer gewissen Attacke entwickelt, und mich dann beim Spielen in eine Art Rausch versetzen kann.
Zum Andern bei sehr emphatischen Stücken das Erleben eines transzendenten Moments, wo wirklich das Gefühl auftritt, daß Musik im Entstehungsmoment zum Medium für spirituelle Dinge wird. Manchmal ist da kein Unterschied mehr zu Paganini oder Sagreras, Bach oder de Visée.
Staccato: Herr Hoppstock, vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch!

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